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3. Interkulturalität vs. kulturelle Kompetenz

Wir wollen ins im Folgenden kritisch mit dem Begriff Interkulturalität auseinandersetzen, der oftmals nach wie vor (und das liegt wahrscheinlich im Begriff selbst begründet) auf einen Vergleich von Unterschieden und Gemeinsamkeiten abzielt. Darüber hinaus scheint es auch immer noch gang und gäbe zu sein, Kultur mit Nation gleichzusetzen.

Beginnen wir auch dieses Kapitel mit einer kleinen Aufgabe.

Reflexionsaufgabe:

Gehen Sie auf folgende Webseite von Geert Hofstede:  https://exhibition.geerthofstede.com/hofstedes-globe/
Notieren Sie ihre Eindrücke.

Lesen Sie sich folgendes Zitat aus der Beobachtung von Machwate et al. (2021:12) zur Dimension collectivism/individualism durch:
“The collectivism/individualism parameter was expressed by each side of the Mediterranean very differently, as they agreed on some aspects but differed on others. When talking about celebrations or mourning, for example, Moroccans seem to be more anchored to the family sphere where any detail of organization or action takes family principles and advice as fundamental. This was perceived for both groups collectively or individually from the beginning of the course. The activity on the Padlet wall, of sharing ideas about the opposite foreign culture, produced some questions for each participant. By learning about introspection and discussing this element in the second Zoom meeting, the participants came up with clearer opinions of their own.”

Was sagt diese Beobachtung über das Modell Geert Hofstedes aus?

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Wie dieses Beispiel zeigt, ist es eben nicht so einfach, mehrere Millionen Menschen pauschal gleichzusetzen. Dennoch können Sie auch mit diesem Material in ihrem Seminar arbeiten, allerdings sollten Sie dann ausreichend Zeit für die Reflexion sowie Diskussion der Ergebnisse und Zuschreibungen einplanen.

3.1 Kritik an Interkulturalität mit nationalem Bezug

„Mit der Suggestion, es gäbe Kultur A, B, C, D – und der Bereich, in dem sie sich träfen, sei gleichsam der Bereich, der potenziell immer mit Konflikten aufgeladen sei, die es zu überwinden gelte – wird eine Trennung der Kulturen behauptet, die es so nicht gibt”
(Karakaşoğlu et al., 2019, S. 54).

Wie wir bereits in den vorangegangenen Kapiteln in einigen Beispielen gesehen haben, “werden also häufig kulturelle Differenzmarkierungen, nationale Bezugsräume und ein binäres, essenzialistisches und dichotomes Verständnis von ‘uns’ und ‘den Anderen’ aufrechterhalten, welches nicht zuletzt auch auf natio-ethno-kulturellen Kulturverständnissen fußt. In diesem wird das Aufeinandertreffen verschiedener Kulturen oftmals als problembehaftet oder herausfordernd gerahmt” (Braselmann, Ewers & Philipp Kramer 2023: 116). Um ‘interkulturelles Lernen’ im VA zu verankern und zu evaluieren, verwenden viele Lehrende Modelle, die ursprünglich für ‘analoge’ Lernszenarien entwickelt wurden (O’Dowd 2016: 50). Das am weitesten verbreitete und auch bekannteste Modell ist hierbei das Intercultural Communicative Competence (ICC) – Modell Byrams, das wir im Folgenden näher betrachten werden.

Sehen wir uns das ICC-Modell genauer an, so ist festzustellen, dass darin grundlegend zu unterstützende Lehrziele enthalten sind: Offenheit, Neugier, geschichtliches, soziopolitisches, geografisches Wissen, Kommunikationsstrategien, Deutungsressourcen sowie ein kritisches Reflexionsvermögen. Auch wenn Byram Kultur nicht genauer definiert, so macht er in seinem Modell in jedem dieser Punkte eine Binarität zweier Nationen auf, die es so nicht gibt bzw. geben kann (wie wir in den vorangegangenen Kapiteln festgestellt haben). Jedes einzelne seiner savoirs ist in dieser Binarität angelegt, z.B. Wissen über kulturelle Produkte und Praktiken bezogen auf die eigene und fremde Kultur (savoirs) bzw. Schulung kommunikativer und interaktiver Bewältigungsstrategien für reale interkulturelle Begegnungssituationen (savoir apprendre/savoir faire). Doch was heißt das? Und welche Probleme können hieraus entstehen? Sehen wir uns hierzu folgendes Beispiel an, das Ware/Kramsch in ihrem Artikel Toward an Intercultural Stance: Teaching German and Englisch through Telecollaboration genauer unter die Lupe nehmen: Deutsche und amerikanische Studierende tauschten sich über einen dreiwöchigen Zeitraum asynchron über von den Lehrpersonen gesetzte Themen aus. Im Laufe des Austauschs kam es zwischen zwei Studierenden, Rob (USA) und Marie (DE), zu immer größer werdenden Missverständnissen, die, so Ware/Kramsch “could not be easily explained by many of the traditional explanations: negative first language transfer, differences in cultural pragmatics, lack of sufficient contextualization, limited vocabulary, or different norms of interpretation” (Ware/Kramsch: 194). In einer Befragung nach dem Austausch sagt Marie Folgendes zu dem Konflikt:

“I wanted to avoid misunderstandings. I felt like I had to explain everything, because I wanted him to understand what I was trying to explain. I had a long time to think about it and in the end I can’t say what made him angry. I read the letter once, twice, again and again. I cannot say … My big explanations maybe? My writing sounds very teachful, don’t you think so? I wrote him so many things, he had already known, because he had spend time in Germany before… Could this be the reason? Write me your opinion.”

Dieses Beispiel zeigt anschaulich, dass das Problem nicht darin zu bestehen scheint, dass diverses Wissen (savoirs) fehlt oder kommunikative Bewältigungsstrategien und kritisches Bewusstsein nicht ausreichend vorhanden sind (savoir faire/apprendre). Modelle wie das ICC werden der Komplexität dieses Sachverhaltes nicht gerecht, da sie durch Verallgemeinerungen einer tiefergehenden Auseinandersetzung entgegenstehen. Nach Kramsch scheint es den Teilnehmenden dieses Beispiels vielmehr an einer symbolischen Kompetenz zu fehlen: “The incident discussed (…) shows that, whether students and teachers want it or not, culture is inescapably part of language as discourse, in other words, language is social semiotic practice” (Ware/Kramsch: 202). Wie wir sehen, werden Modelle wie das ICC der Komplexität von Begegnungssituationen zwar nicht gerecht, dienen uns aber als Ausgangspunkt für die Weiterentwicklung hin zu einer kulturellen Kompetenz oder auch Diskurskompetenz.

3.2 Lehrziel: Kulturelle Kompetenz

4. Aufgabe

Sehen Sie sich folgende Karte an: Was sehen Sie? Was irritiert Sie und warum?

Die Kartenansicht zeigt ein stark verzerrtes Bild einer Weltkarte, da sie jene Länder vergrößert darstellt, die Goldmedaillen gewonnen haben – je aufgeblähter das Land, umso mehr Medaillen. Die Karte perspektiviert also einen ganz bestimmten Aspekt. Das macht übrigens die uns aus dem Schulunterricht bekannte Weltkarte auch, meistens handelt es sich hier um die sogenannte Mercator Projektion. Stellen Sie ihr Weltbild doch einfach mal auf den Kopf – Anregungen finden Sie hier. Das obige Beispiel zeigt sehr anschaulich, wie Form und Aussage eng miteinander verknüpft sind. Und so, wie es hier bildhaft umgesetzt ist, finden wir form and function auch in jeglicher sprachlichen/diskursiven Äußerung. Knüpfen wir an oben vorgestelltem ICC-Modell an, so sind Neugier und Offenheit gegenüber Unbekanntem – egal, ob national oder international – grundlegend für Diskurskompetenz. Der Philosoph Mikhail Bakhtin stellt darüber hinaus in den Fokus, dass jede Form von Sprache Konflikte beinhaltet und diese in jeglichem Miteinander zu finden sind. “As a result, his [Bakhtins] theory insists that all discourses and utterances arise out of a fundamental engagement with an Other, whether that Other is someone from a different culture and with a different language, or someone within the same culture and language” (Schneider/von der Emde: 182). Angelehnt an Claire Kramschs Konzept sympolischer Kompetenz und dem in Kapitel 2 herausgearbeiteten Bedeutungsorientierten Kulturbegriff können wir nun für kulturelle Kompetenz folgende Lehrziele festhalten:

Lehrziele kultureller Kompetenz/Diskurskompetenz:

  • den eigenen Standpunkt zu vertreten, zu argumentieren
  • unterschiedliche Perspektiven im Diskurs anzuerkennen, auszuhalten und zu hinterfragen
  • Praktiken der Bedeutungskonstruktion im Diskurs zu durchschauen
  • Ambiguitätstoleranz zu entwickeln

Neben den Lehrzielen sind auch die Lernumgebung sowie die Haltung der Lehrenden und Studierenden Grundlage für die (Weiter-) Entwicklung einer kulturellen Kompetenz. So gilt es, dass weder Lehrende noch Studierende Expert*innen für eine bestimmte ‘Kultur’ sind, genauso wie Probleme und Konflikte als Chance zu begreifen und in den Unterricht zu integrieren sind. Methoden und Themen, die hierfür förderlich sein können, werden Sie im folgenden Kapitel kennenlernen.

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